Dauerhafte EinträgeTag dreiundzwanzig
Tag Dreiundzwanzig
Der Morgen beginnt für uns in wohliger Wärme. Joana steht schon unter der Dusche und ich wasche ihr den Rücken. Durch die Arbeit nimmt meine Joana leider immer etwas zu stark ab. Zimmermädchen ist eine unglaubliche und beiweitem, unterbezahlte Buckelei. Zum Saisonende wird das immer ganz besonders deutlich. Da gleicht meine Joana eher einer Sklavin oder der Insassin eines Konzentrationslagers. Ich streichle ihr den Hintern und die Oberschenkel und schaue ihr bei Duschen zu. Schön ist sie, meine Joana. Leider ist in unserem Beruf kaum Zeit für diese Feinsinnigkeit und es ist ein Wunder für mich, daß mir meine Frau unter diesen Umständen so treu und so lieb ist. Bedenkt man, daß wir uns kaum sehen und daß wir täglich zwölf Stunden und mehr unter wirklich schlechten Bedingungen, getrennt arbeiten, ist mir die Liebe meiner Joana das beste Geschenk. Joana hat mir schon meine Messer und meine Arbeitssachen bereit gelegt. Der Kaffee ist auch schon fertig. Ich nehme meinen Werkzeugkoffer mit und Joana hat mir eine Tasche gepackt für den Notfall. Meine Notfalltasche ist mit dem persönlichen Waschzeug, einem Handtuch, einem Trainingsanzug und einer Ersatzarbeitsuniform gefüllt. Drei Arbeitsuniformen nehme ich mit zu Joana ins Hotel. Alfred hat uns genehmigt, daß wir meine Arbeitssachen mit bei ihm waschen können. Bis auf die Verwehungen in Mals haben wir kaum Probleme auf den Weg nach Nauders. Uns fällt nur auf, daß wir nicht die Einzigen sind, die sich um diese Zeit auf den Weg begeben. Mit uns fahren einige italienische Lands?eute. Wir sehen Nummernschilder aus Mailand, Padua und Bologna. Diese Gäste sind schon um Einiges länger unterwegs als wir. Mir fällt auf, daß diese Touristen etwas unsicher fahren. Vor allem auf der Malser Heide bei den Schneewehen. Sie stehen mitten auf der Straße und wollen dort die Schneeketten montieren. Wir können trotzdem leicht passieren und ich bemerke im Rückspiegel, wie sie uns neidisch hinterher schauen. Wenn ich bedenkte, daß sich bei drei oder vier Urlauben im Gebirge oder in Schneegebieten, Winterreifen bezahlt machen, kann ich unsere italienischen Touristen nicht verstehen, warum sie sich keine montieren lassen. Zumal ich die Winterreifen im letzten Montagejahr, locker bis zur Ermüdung, auch im Frühjahr und Sommer fahren kann. Sie werden dann nur schneller abgefahren. Im Hotel bei Alfred ist nur der Hausmeister zu Gange. Ansonsten ist Alles still. Der Hausmeister macht uns einen Kaffee an der Maschine und ich bin eigentlich froh, daß ich noch einen zwischentanken kann. Die Tankstelle in Ried hat normal auch nachts geöffnet und dort treffen sich allgemein auch die Winterdienste. Eigentlich hatte ich geplant, dort noch einen Kaffee zu trinken. Daß mir der Hausmeister einen mitkocht, ist Glückssache. Er wollte sich nur aufwärmen. Ich sag ihm, daß ich noch ins Kaunertal muß. Er fragt mich, zu wem. Ich sage ihm den Hotelname und den Name des Hoteliers und er antwortet mir: „Oh Gott!“ Wie bei uns in Südtirol, gibt es eben auch in Österreich, Betriebe, die einen ganz bestimmten Ruf zu verteidigen haben. Offensichtlich habe ich besonderes Gespür für solche Betriebe oder es gibt einfach zuviele davon. Witzigerweise sind diese Betriebe und deren Betreiber gar nicht so schlecht wie ihr Ruf. Ich durfte oft das Gegenteil erfahren. Der einzige Fehler, den man in diesen Betrieben ausfindig machen kann, ist der Mangel an Lernbereitschaft. Und selbst das ist nicht unbedingt das dominierende Übel. Das dominierende Übel ist, daß die aktuellen Betreiber, die Firmen nicht aufgebaut, sondern geerbt haben. Sie haben keinerlei meisterliche, geschweige, fachliche Praxis. Sie haben eine unbeschwerliche Jugend erlebt und sich von ihren Eltern, trotz anderer Interessen, ein vermeintlich goldenes Ei schenken lassen. In vielen Touristenregionen wird diesen Erben eine fachliche Ausbildung in Form von Zwangspraktika aufgezwungen, die sie widerstrebend wahrnehmen. Sie selbst haben von ihren Eltern die Entbehrungen kennen gelernt, die der Beruf mit sich bringt. Nicht selten geht es um Besitzwahrung und um die Tilgung von teilweise geerbten Schulden. Und das macht besonders bitter. Getreu nach der Methode, „Was ich nicht kann, muß ich bezahlen“, wächst schnell die Einsicht, daß man das leistungslos Geerbte für fremde Leistungen geben muß. Dazu mischen sich die Eltern permanent ein und die Unternehmerjugend bekommt damit jegliches Selbstbestimmungsrecht genommen. Zudem muß der Jungunternehmer die Rente seiner Eltern mit drücken. Der Angestellte des Unternehmens hat damit eine ganze Familie als Chef und das drückt sich darin aus, daß er als Koch schon mal mehr Familienmitglieder mit ihren speziellen Wünschen bekochen darf. In manchen Betrieben arbeiten die Familienmitglieder noch in den örtlichen Touristikstrukturen oder in eigenen Firmen und kommen pünktlich zur Mittagszeit zum gemeinsamen Tafeln. Der Koch hat damit jeden Mittag und jedes Wochenende, Großfamilien zu bekochen, zu einer Zeit, die er bei recht zügiger Arbeitsweise, längst als Freizeit nutzen könnte. Denn, machen wir uns nichts vor; geteilte Arbeitszeit ist zwischen den Arbeitseinsätzen, eingeschränkte Freizeit und damit halbe Arbeitszeit in Bereitschaft. Zum Glück ist das bei dem Hotelier im Kaunertal nicht nötig. Seine Frau kommt mittags nach Hause und kocht für ihn. Vielleicht kocht er auch selbst? Seine Eltern wohnen auch im Ort. Es kann auch sein, daß die Mutter kocht. Allgemein ist das üblich in den Bergen, daß die Großmutter für die Familie kocht, so lange sie das kann. Ich komme im Betrieb an und er gibt mir gleich ein Zimmer für mich allein, in dem ich meine persönlichen Sachen ablegen und die Mittagsruhe genießen kann. Dann gibt er mir das Menü des Tages. „Wer hat das geschrieben“, frage ich ihn. „Ich.“ „Das Material dafür ist da?“ „Ja.“ „Wie viele Gäste sind hier und in der Dependance zusammen?“ „In der Dependance ist das Menü einfacher. Dort ist Dreisterneniveau. Hier ist Viersterne.“ „Aber, es ist das gleiche Menü. Nur etwas verkürzt?“ „Ja. Oben ist Suppe, Hauptgang, Dessert. Hier ist Kalte Vorspeise, Suppe oder Warme Vorspeise, Hauptgang, Dessert.“ „Warum bieten Sie hier nicht Suppe und Warme Vorspeise an?“ „Das können wir tun, wenn Sie wollen.“ „Das ist einfacher auszugeben und vorzubereiten“, sage ich ihm. „Geht in Ordnung.“ „Ist genug Geschirr da für dieses Menü?“ „Ja.“ Wir kochen also heute: Roastbeef rosa *** Kartoffel-Lauchsuppe *** Penne in Tomatenragout *** Champignonschnitzel an Pilawreis und Brokkoli *** Schokotörtchen in Vanillesauce „Was ist mit Vegetariern?“, frage ich ihn. „Wir haben keine Vegetarier im Haus.“ Na gut. Das laß ich mal so stehen. Wohl in der Ahnung, daß es sicher mehrere Nachfragen gibt. Ich werde ihnen einfach etwas Blumenkohlsouffle machen und gut ist. Das kann ich dann zumindest auf dem Salatbuffet versenken am kommenden Tag. Ich freu mich darüber, daß der Chef sein Menü nicht so umständlich schreibt und mit Fantasiebegriffen überhäuft. Das finde ich sowas von lächerlich, daß ich mittlerweile solche Menüs und deren Verfasser abgrundtief verachte. Zumal wir heutzutage mit einem Bedienungspersonal arbeiten, das wirklich nicht in der Lage ist, dem Gast den Unterschied zwischen einer Püree- und einer Cremesuppe zu erklären. Die schleppen einen Kalbsbraten zu einer Bestellung von Rinderbraten und fragen bei Hühnchenbrust im Menü als Hauptgang, ob das Hühnchenbrust ist, was da als Hauptgang auf dem Teller liegt. Als Erstes mache ich den Bisquitteig für das Schokotörtchen und dämpfe im Ofen schon mal den Reis, den Lauch in Streifen, Champignons und den Brokkoli. Für die Schokotörtchen hat der Chef keine Förmchen und ich lege den Teig auf vier Eineintel Gastronorm. Den Teig werde ich dann mit der Hand schneiden und füllen. Mit dem Bisquitteig gebe ich das Roastbeef in den Ofen. Ich gebe um die zweihundert Grad und setze einen Kerntemperaturfühler bei sechzig Grad. Der Teig ist eher fertig. Als Fülle habe ich eine Buttercreme vorgesehen. Dafür koche ich einen Schokopudding aus Kakaopulver und Mehl. Die fertigen Schokopuddings sind mir zu kakaoarm und ich nehme sie nur in der Not. Zwischenzeitlich kommt der Chef mit den Unterlagen. Er stellt sich mit Rolf vor und fragt mich nach meinem Vornamen. Das Hotelzimmer für mich wäre vorübergehend meine Schlafstätte, er hat im Ort zwei Häuser mit Personalzimmern. Die müssen erst mal gerichtet werden. Ich schließe daraus, daß bei ihm eine ganze Küchenbrigade gekündigt hat. Zwischenzeitlich ist der Pudding abgekühlt und ich schlage eine Buttercreme, die ich in dem Bisquitteig einstreiche. Ich halte die Buttercreme sehr dunkel wie Schokolade und schmecke sie auch mit Rum und Vanille ab. Rolf kostet das Ganze schon mal und zeigt sich zufrieden. Nebenbei fragt er mich, ob ich ein Konto hätte. Ich gebe ihm unsere IBAN und BIC, die ich mir von einem Bankauszug abgeschnitten habe. Nachdem ich den Schokokuchen fertig gestellt und ins Kühlhaus gebracht habe, hole ich mir gleich das Schnitzelfleisch. Jetzt bemerke ich, daß ich keinen Fleischklopfer mitgenommen habe. Rolf ist immer noch in der Küche und empfiehlt mir einen Klopfer, der aussieht wie ein Gewicht mit Griff. Diese Dinger nehme ich nicht, weil mir damit bei hundert geklopften Schnitzeln das Handgelenk weh tut. Ich suche mir ein Beil oder ein anderes Werkzeug und werden fündig. Damit geht das Klopfen ziemlich schnell und ich kann die Schnitzel schon bei achtundsechzig Grad im Dampf pochieren. Die Flüssigkeit nehme ich als Brühe für die Sauce. Zusammen mit der Champignonbrühe wird das unsere Sauce für den Abend. „Du kannst ja das Menü allein kochen“, sagt Rolf zu mir. „Natürlich. Ausgeben kann ich es aber nur an einem Büffet. Wie viele Gäste haben wir zusammen in den Häusern?“ „Hier unten sind es sechzig und oben dreißig.“ „Da hast Du aber nicht mal voll zu Weihnachten.“ „Übermorgen wird es voll. Zum ersten Weihnachtsfeiertag. Da bekommst Du dann auch zwei Hilfen. Eine kommt morgen schon.“ „Fährst Du das Essen für Oben hinauf?“ „Zu Mittag. Wenn Du es fertig hast. “ Jetzt schmeiße ich die Bratplatte an. Da fragt mich der Chef, was das soll. Ich sag ihm, daß ich jetzt die Schnitzel anbraten will. Daraufhin zeigt er mir ein paar Gußeinsätze für den Kombidämpfer, mit denen ich die Schnitzel im Kombidämpfer braten könnte. Er würde das auch so machen. Auf die Frage, bei wieviel Grad er das macht, sagt er mir, bei einhunderfünfundachtzig. „Und wie nehmen Sie die Schnitzel raus und geben neue herein?“ Da steht er vor mir und weiß sich keinen Rat. „Bei einer Maschinenfüllung verstehe ich das. Sprich, bei sechs mal sechs oder sechs mal neun Portionen.“ „Ich gebe Ihnen recht.“ Gesagt getan; ich brate die pochierten Schnitzel auf der Bratplatte. Nach dem Anbraten gebe sie in den zugedeckten Gastronorm. Das Pochieren hat den Vorteil, daß die Schnitzel gleichmäßig durch und trotzdem saftig sind. Zudem wird das Eiweiß im Fleisch gebunden und damit werden die Schnitzel schön weich und nicht strohig. Sie setzen jetzt etwas Saft ab, den ich für die Rahmsauce verwende. Bei wenig Gästen ist das Prinzip mit dem Backofen vielleicht eine Option. Ehrlich gesagt, würde mir persönlich die Farbe fehlen und ich müßte die Schnitzel eh nachbraten. Der Chef sagt, die Beschichtung der Einsätze würde eine Farbe bringen. Ich probier das lieber erst Mal nicht aus, glaube das aber. Mir ist nur das Prinzip zu umständlich. Außerdem befürchte ich massenhaft Verbrennungen an meinen Händen beim Beschicken des Backofens. Den Saft vom Pochieren und vom Braten gebe ich in einem Topf, in dem ich die Champignons mit reichlich Zwiebelpüree angebraten und mehliert habe. Die Rahmsauce wird mit einem kleinen Schluck Sahne, etwas getrockneter Petersilie und getrocknetem Schnittlauch verfeinert. Ich bevorzuge getrocknete Kräuter, damit mir die Sauce im Laufe der Abendausgabe und in der Zeit bis dahin nicht säuert. Jetzt koche ich noch die Penne und setze die Tomatensauce mit auf. Der Tomatensauce gebe ich auch reichlich Zwiebelpüree zu. „Schmeißen Sie bitte nicht soviel Oregano in die Tomatensauce. Unser letzter Koch war oreganoverliebt.“ „Ich kenne den letzten Koch nicht und ich weiß nicht, was der gekocht hat. Irgendwelche Aussagen über fremde Köche und Kochgewohnheiten bestimmter Häuser ignoriere ich. Entweder ich koche nach meinen Rezepten oder der Wirt kocht das selbst.“ „Hui! Und was ist, wenn ich bestimmte Vorstellungen habe?“ „Wenn sie mit dem Sortiment, dem Service oder der Speisenfolge zu tun haben, erwarte ich schon die entsprechenden Angaben von Ihnen. Es sind Ihre Gäste, für die ich in Ihrem Auftrag koche, weil Sie es nicht können oder wollen.“ „Aber, wir haben hier auch bestimmte Traditionen.“ „Ich bin Fachmann genug, daß ich Ihre Traditionen in den Gerichten berücksichtigen kann. Das heißt aber nicht, daß ich nun ein Lagerfeuer anwerfe, um ihre Traditionen zu bedienen.“ „Sie müssen kein Lagerfeuer machen, um Tiroler Küche kochen zu können.“ „Es reicht aber, daß ich kochen kann; oder?“ Der Chef gibt Ruhe und beobachtet, was ich tue. Es ist Zeit, die Penne abzugießen. Der Chef fragt mich, ob ich die nicht abschrecke. Ich verneine das mit den Worten: “Mein Anblick reicht den Pennern.“ „Zur Ausgabe kommen zwei Zimmermädchen, helfen.“ Da haben wir es wieder. Zimmermädchen. Ohne die Zimmermädchen wäre der Chef aufgeschmissen. Die Arbeitszeit der Zimmermädchen inklusive der Wäscherei, würde nach meinen Berechnungen, locker, sechzehn Stunden ausmachen. Ich würze die Tomatensauce ab und der Chef fragt mich, ob ich die nicht mit den Mixstab pürriere. Ich sag ihm, daß ich genau deswegen Ragout geschrieben habe und auch eine Tomatensauce nicht pürrieren würde. „Mit dem Mixstab wird sie gelb, weil in dem Tomatenpolpa auch ein paar Tomatenkerne sind.“ „Wir haben auch eine Flotte Lotte.“ „Ich mag diese glatten Saucen nicht. Die werden auch nur zum Verschwingen passiert.“ „Verschwingen? Was ist das?“ „Pasta werden mit Saucen geschwungen. Dabei wird die Sauce mit der Pasta zusammengebracht. Ragouts werden oben drauf gegeben.“ „Wir hatten einen italienischen Koch, der hat das Ragout auch geschwungen.“ „Das sieht nicht besonders gut aus, finde ich. Zudem ist es fachlich falsch. Ich habe Ragout geschrieben, weil sich das für ein neues Kollektiv flüssiger ausgeben läßt.“ „Das ist gut so.“ „Fehlt nur noch die Vanillesauce.“ „Wir haben die fertige Vanillesauce. Die braucht man nur kalt anschlagen.“ „Echte Vanille haben Sie nicht?“ „Im Lager, denke ich.“ Er weiß nicht mal, was er im Lager hat. Der Koch kann ihn beklauen, ohne daß er es merkt. Es ist schon erstaunlich, mit welchen Idioten wir zusammen arbeiten sollen. Ich gehe ins Lager und siehe da, es stehen von einem österreichischen Großisten, Vanillestangen im Röhrchen da. Für rund einhundert Gäste reichen mir zwei Stangen. Die schneide ich etwas kleiner und koche sie zusammen mit reichlich Zucker. Das Ganze mixe ich zu einem Sirup, dem ich einen Liter Schlagsahne zufüge. In einer Schüssel rühre ich Sonnenblumenöl und Mehl zu einer flüssigen Roux und binde damit die Vanillesauce. Zum Schluß rühre ich fünf Eigelb ein, damit die Sauce eine gefällige Farbe bekommt. Zum Glück gibt es in Österreich Pasta Gialla Eier mit extra gelbem Eigelb. Tirol profitiert vom grenznahen Lieferverkehr mit italienischen Großhändlern. Vor allem auch beim Gemüseangebot. Das Abendmenü ist jetzt fertig vorbereitet. Ich brauche jetzt eine Zimmerstunde. Ehrlich gesagt, bin ich jetzt neun Stunden auf den Beinen und fühle mich etwas müde. Zum Duschen ist mir die restliche Zeit zu kurz. Meine Füße würden nicht trocknen. Die Füße brauchen nach dem Duschen mindestens sechs Stunden, um wieder trocken zu werden. Ansonsten riskiert man Pilzerkrankungen und ganz sicher, Schweißfuß. Ich habe keine Lust, mich mit solchen Krankheiten herumzuschlagen. Ich wasche mich mit einem Gästehandtuch und trockne mich mit dem Badetuch, das mir die Zimmermädchen aufs Zimmer gelegt haben. Meine Badesachen, die ich mitgenommen habe, rühre ich erst Mal nicht an. Ich weiß ja nicht, ob ich da bleibe. Selbst meine Tasche habe ich gepackt gelassen. Ich bin sehr skeptisch bei neuen Betrieben. Abends fahre ich ja eh zu Joana. Unter der Woche, würde ich sogar zur Mittagspause zu Joana fahren. Am Wochenende mit den unglaublichen Staus ist das nicht möglich. Da käme ich nicht mal mit einem Martinshorn pünktlich an. Ich stelle mir den Fernseher an, weil ich dabei recht gut einschlafe. Zumal das Weihnachtsprogramm dafür beste Voraussetzungen schafft. Wecker habe ich keinen mit und dafür stelle ich mir das Telefon mit einer Weckzeit ein. Ich habe das noch nie probiert und hoffe, daß ich das auch höre. Dafür wähle ich mir einen wirklich lästigen Klingelton aus, der schon auf dem Telefon installiert ist. Zur Not kann mich ja die Rezeption wecken, wenn ich verpenne. Ein Zimmertelefon steht ja da und ich rufe damit gleich mal an. Der freundlichen Kollegin sage ich, daß ich halb Fünf geweckt werden muß. Damit habe ich erst Mal mehr Sicherheit und Ruhe. Das Telefon klingelt und weckt mich. Kurz darauf ruft auch die Kollegin der Rezeption an. Ich brauche jetzt einen Kaffee, den ich mir an der Hotelbar bestelle. Die Kollegin frage ich auch gleich mit, wann sie zu Abend essen und was sie so gewohnt sind. Sie sagt mir, daß sie lange keine Kalte Platte hatten, womit sie Aufschnitt meint. Da ich den soundso für das Frühstück schneiden muß, ist mir der Wunsch schon mal recht willkommen. Im Dämpfer koche ich den Kollegen auch gleich ein paar Eier mit, was sie außerordentlich begrüßen. Der Chef kam mit Kaunertaler Butter zum Abendessen, die er vom Nachbarn mitbrachte. Das Kaunertal ist ein ausgemachtes Naturschutzgebiet. Die Bauern bringen uns praktisch Biobutter. In den Alpen ist fast die gesamte Bauernbutter von dieser Qualität. Diese Butter auf hausgebackenes Brot gestrichen, ist der höchste Genuß. Praktisch, unbezahlbar. Wenn man dazu noch einen Alpenkäse bekommt, ist das praktisch wie Urlaub. Die Zimmermädchen sind recht routiniert zur Abendausgabe. Da sitzt jeder Handgriff und ich muß kaum etwas sagen. Sie richten sogar die Teller gut an, was ich nicht mal von unseren Saisonhilfsköchen behaupten kann. Denen muß ich täglich einen Teller vormachen. Und bei ihnen steht im Zeugnis, sie wären Köche. Die meisten dieser Köche haben einen Aufbaukurs von drei Monaten auf dem Arbeitsamt absolviert. Da sind unsere Abspüler besser ausgebildet. Ich möchte das jetzt nicht mit der DDR-Berufsausbildung vergleichen. Das sind Welten - Unterschiede. In der DDR konnte jeder halbwegs ausgebildete Koch eine flüssige Speisenausgabe und seinen Posten organisieren. Wenn ich das mit diesen Hammelherden der Pseudoköche von heute vergleiche, glaube ich manchmal, ich bin in einem Entwicklungsland. Für diese Berufsausbildung bezahlen die Geld. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln. Unsere Ausgabe geht relativ zügig. Wir sind in vierzig Minuten fertig. Die Frauen helfen mir bei der Küchenreinigung und sagen mir, daß der Hausmann und Abspüler noch kommt. Er hat im anderen Hotel eine größere Reparatur an der Heizung gehabt und war deswegen nicht da. Ich warte noch etwas und der Chef kommt und verabschiedet sich von mir bis morgen. „Morgen gibt es Gänsekeule“, sagt er zu mir und zeigt mir des Menü für Heiligabend. Vorspeisen vom Büffet *** Consomme mit einem Eierstich *** Gänsekeule im eigenen Saft an Kartoffelknödel und Rotkohl *** Eisbombe Ich sage zum Chef, daß es für eine Eisbombe zu spät ist, weil dafür ein Bisquit gebacken werden muß, in dem das Eis eingepackt wird. Für gewöhnlich muß man das am Tag davor tun. Ich schlage ihm vor, Eisbombenkreation zu schreiben, weil ich das dann frei zusammen montieren kann. Er ist einverstanden und ich mache mich auf den Weg zum Auto. Abends sind die Straßen im Kaunertal menschenleer. Wenn ich da eine Panne hätte, müßte ich entweder zurücklaufen oder im nächsten Haus läuten. So menschenleer ist das Tal zu der Zeit. Die Straßen sind gut geräumt, aber trotzdem extrem glatt und kaum gestreut. In Richtung Talausfahrt ist das schon ziemlich anspruchsvoll zu fahren ohne Schneeketten. Abends sind kaum Lawinen zu hören, die tagsüber ab Mittag, permanent grollen. An der Talausfahrt wird der Verkehr etwas bewegter. Mir scheint, es ist ein Pendelverkehr von einheimischen Arbeitern. Es sind überall Landecker Nummernschilder zu sehen. Die Ortskerne der einzelnen kleinen Orte sind reichlich geschmückt mit Weihnachtsschmuck und zuweilen sind auch ein paar weihnachtliche Klänge zu hören, die scheinbar über Lautsprecher verbreitet werden. Die Hauptstraße ab Prutz ist schneefrei. Ich sehe nur Landecker Nummernschilder. Ich schätze, das sind alles Berufskollegen. Den Reschen aufwärts bin ich allein. Auf der Straße liegen reichlich Minilawinen, die auch mit Geröll gemischt sind. Normalerweise werden die vom Straßendienst geräumt, der regelmäßig Streife fährt. Zu den Feiertagen scheint das etwas vernachlässigt zu werden. In Nauders angekommen, wartet meine Joana schon auf mich. Sie stehen zusammen mit Alfred an der Hotelbar und trinken Kaffee. Joana trinkt keinen Alkohol. Sie sagt, daß sie keinen verträgt. Irgendwie schmeckt der ihr auch nicht. Alfred trinkt auch keinen Alkohol. Er fragt mich nach dem Betrieb aus und ich kann seine Äußerungen noch nicht bestätigen. „Das kommt noch rechtzeitig“, sagt mir Alfred. “Möchtest Du einen hausgebrannten Obstler?“, fragt er mich. „Gern. Wenn es bei der Kostprobe bleibt.“ Ich kann an einem Schnaps eine viertel Stunde rumnuckeln. Mich interessiert der tiefe Geschmack. Diese Obstler ist ein typischer Hausbrand, der eben nicht besonders gelagert oder fermentiert wurde. Sozusagen, ist er ein gratis Begrüßungstrunkt für trinkfreudige Hausgäste. Dafür schmeckt er recht ausgeglichen und nicht zu streng.
Geschrieben von BeyerKH
in Fortsetzungserzählung, Tag 023
am
Montag, 20. Mai 2019 00:54
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Verwaltung des BlogsSeiten, die ich leseStatistikenLetzter Artikel: 30.11.2019 05:50
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