Dauerhafte EinträgeTag 33Tag Dreiunddreißig Joana weckt mich mit einem Kaffee und, ich muss lachen, mit einem Stück Marzipanstollen. Der ist übrig von dem halben Stollen, den sie bereits gegessen hat. "Den habe ich mir gestern gesichert", sagt sie zu mir. "Den ganzen?", frage ich sie. "Den Rest habe ich schon in der Nacht gegessen." Joana verbraucht am Tag zwischen fünf und sechstausend Kalorien. Das, in etwa, benötigt auch ein Saisonkoch pro Tag. Ich nehme zwischen den Saisonen, bei einer Mahlzeit pro Tag, in vierzehn Tagen, etwa zehn Kilo zu. Das wären, ausgerechnet, etwas um die sechzigtausend Kalorien. Bei Joana ist das nicht viel anders. Demnach müssten wir einen Garderobenschrank besitzen, mit dem drei bis vier Konfektionsgrößen abgedeckt werden. Das gilt auch für unsere Motorradausrüstung. Im Grunde ist das nicht finanzierbar. Ich, für meine Zwecke, begnüge mich mit Trainingsanzügen und einer übergroßen Motorradkleidung, die ich bei Bedarf etwas abschnüre. Bei meinen Lederkombis warte ich einfach die Zeit ab, in der ich wieder in sie rein passe. Das ist allgemein auch die Zeit, in der unser Verkehr am gefährlichsten ist. Bei unseren Frauen ist das etwas komplizierter, weil die sich untereinander, extrem stark beobachten und bewerten. Damit steigt oder fällt sozusagen, das Sympathielevel. Ich sage Joana, dass ich heute zum Verbandswechsel muss. Sie weiß das. Zu Marco habe ich das gestern schon gesagt. Dazu sage ich ihr, dass ich ein Stellenangebot in Galtür habe. "Da warst Du doch schon mal. Die haben Dich um den Lohn beschissen." "Ich glaube, es ist eine andere Firma." "Es muss auch eine andere Familie sein." "Ich kann das nur vor Ort entscheiden." "Wann kommst Du dann heute?" "Ich versuche es gegen Mittag." "Wir brauchen etwa bis Drei mit der Wäsche." Joana wirkt heute Früh etwas ruhiger. Wahrscheinlich haben die Zimmermädchen ihr Pensum im Griff. Das funktioniert nur, wenn sie alle annähernd die gleiche Leistung bringen. Mein Arzttermin ist gegen acht Uhr. Berücksichtige ich den Werksverkehr, der ganz sicher noch mit reichlich Touristenverkehr gemischt ist, werde ich für die Fahrt zwei Stunden einkalkulieren dürfen. Nach einer kurzen Körperhygiene und dem Ankleiden mit den entsprechenden Behinderungen, ist es auch schon reichlich nach Sechs. Allein für das Anziehen habe ich eine viertel Stunde benötigt. Das Anziehen der Schuhe war das größte Übel. Ich streife mit dem schmerzhaften Schnitt immer wieder eine Schuhkante oder den Reißverschluss auf der Innenseite. Hoffentlich fängt es nicht an zu bluten. Das würde mir noch fehlen. Der Verband sieht eh, schon so, zum Kotzen aus. Der Doktor wird sicher bemerken, dass ich etwas in der Küche gearbeitet habe. Alfred steht unten im Foyer und es wirkt so, als hätte er mich bereits erwartet. "Gesundes Neues Jahr", singt er schon fast. Wahrscheinlich gibt es, außer mir noch Gäste, die er bisher nicht begrüßen konnte. "Gleichfalls", antworte ich. "Geht's zum Dok?", fragt er. "Ja. Und es tut jetzt schon etwas weh. Danach muss ich nach Galtür." "Zu wem?" "Ich hab's nicht richtig verstanden; Singer oder Sinner oder so." "Ah, ja. Die Chefin ist allein. Ihr Mann ist mit einer Deutschen abgegangen. Das ist ein schönes, aber sehr arbeitsreiches Plätzchen." "Nach dem Abgang, der Abgang", sage ich zu Alfred. "Genau so! Sag ihr schönen Gruß von mir. Dort hat es reichlich Arbeit." "Mach ich. Viel Arbeit, mag ich." "Fahr vorsichtig. Es ist stellenweise extrem glatt!" Das Auto ist tiefgefroren. Ich werde es anstellen und einen Kaffee trinken gehen bei Marlies. Vorm Hotel stehen schon zwei Autos, die gerade auftauen. Man hört kaum einen Ton. Eine Standheizung wäre jetzt ganz sicher ein Volltreffer. Zu teuer für uns. Alfred kommt mit einem Heizlüfter und einer Verlängerungsschnur. "Das hilf, ist leise und sparsam." Wo er Recht hat, hat er eben Recht. Marlies hat mich gesehen und schau, der Kaffee steht schon da. "Wie war die Nacht? Schmerzen?" "In der Nacht hatte ich keine, dafür aber nach dem Schuhe anziehen, erhebliche Schmerzen." "Mir geht das auch so. Mit einem Schnitt schlage ich immer irgendwo an." "Ich muss acht Uhr beim Arzt sein." "Du hast Glück. Heute ist relativ wenig Verkehr." Es deuten sich ein paar Erleichterungen an. Marlies kommt um die Ausgabe und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. Womit habe ich das verdient? "Dein Hirschgulasch gestern, war absolute Spitze. Ich hab welchen mit nach Hause genommen und wir haben das in Familie gegessen." Offensichtlich war Marlies abends noch mal da. Ich frag nicht weiter. Wenn Alfred ihr welchen mitgegeben hat, dürfte es reichlich Überhang gegeben haben. Das Auto ist aufgetaut und wirklich, wohlig warm geworden. Die Methode gefällt mir. Alfred nimmt Alles mit rein und verabschiedet sich. Ich werde auch noch bedient. Das Einzige, was noch etwas steif wirkt, ist die Lenkung samt Bremsen. Ich muss vorsichtig fahren. Dursun winkt mir hinterher. Bereits auf der Hautstraße, geht das Auto wie gewohnt. Ich kann wieder einhändig fahren, um meine Hand etwas zu schonen. Es blutet nicht. Den Reschen runter bin ich fast allein. Nicht mal ein Lieferant war zu sehen. An den Rändern zum Fels, war es spiegelglatt. In den Felsen hingen Eiszapfen von zwei-drei Meter Länge. Wenn die kommen, wird's dunkel. Zum Glück ist hier kein Laster unterwegs. Bei den Kurven muss ich bisweilen meine zweite Hand mit benutzen. Es schmerzt noch. An der Schweizer Abfahrt in Richtung Sankt Moritz steht ein Auto und in Richtung Samnaun, keins. Die Orte wirken wie ausgestorben. Ich habe zumindest mit Personal gerechnet, das auf dem Weg zur Arbeit ist. Nichts. Die Disco in Pfunds, dunkel. Wie scheint, haben diese Feiertage wieder eindrücklich auf die Kreditkarten gewirkt. An der Abfahrt zu Serfaus wird es dagegen erheblich bewegter. Heimreiseverkehr. Ich bin nicht mehr allein auf der Straße und werde schon wieder von vollgepackten SUV's mit Heck- und Dachgepäckträgern überholt. Mir fällt es schwer, den Scheibenwischer einzuschalten und dabei die Spur zu halten. Hinter diesen Traktoren bilden sich wahre Fontänen aus Salzwasser. An den Tankstellen finden sich ein paar Handwerker ein, die gerade noch ein Frühstück nehmen bevor sie zur Arbeit gehen. Im Tunnel von Landeck ist schon zähfließender Verkehr. Alles Deutsche und ein paar Holländer. Ich halte einen großen Abstand wegen deren Gepäckträgern. In Zams komme ich eine dreiviertel Stunde zu zeitig an. Vor der Klinik steht ein kleiner Imbisswagen, der auch Kaffee führt. Der Betreiber ist ein Türke. Er kocht einen Kaffee..., ein Hochgenuss. Wir reden etwas zusammen und er verrät mir, dass sie als Familie diesen Stand betreiben. Er hat Frühschicht und geht danach einkaufen. In den Ferienzeiten helfen ihm seine Kinder und sonst, seine Frau und seine Mutter. Auf den Öffnungszeiten hat er von sechs Uhr bis zweiundzwanzig Uhr stehen. "Wer kommt denn zu Ihnen, wenn das Krankenhaus geschlossen hat?" "Dort! Schau! Dort is ne Haltestelle." "Und die bringt Ihnen die Gäste?" "Joa. Hier muss Leute umsteigen und woartn." Er verkauft auch ein paar Zeitungen und Lotto. Unsere italienischen Landsleute lassen die Lottoverkäufer gut leben. Ich hab nicht gedacht, dass das in Österreich auch so ist. Auf alle Fälle, lohnt sich so der Imbiss. Ich hab jetzt den dritten Kaffee rein und sehe, wie mein Arzt kommt. Er kommt zu uns und bestellt sich einen Kaffee. Der Imbissbetreiber möchte den Kaffee von ihm nicht bezahlt haben. Man kennt sich gut. Der Arzt sagt zu mir, dass er seiner Familie oft hilft. Ein Kind von ihnen ist etwas behindert nach einem Unfall. Wir gehen zusammen in sein Behandlungszimmer und er betrachtet meinen Verband. "Sie haben gearbeitet." "Nein. Ich habe nur Probleme mit dem Besteck beim Essen." Der Doktor lacht laut; auch wegen meinem Sächsisch. "Die Fäden können wir heute noch nicht ziehen." Jetzt, wo ich das sehe, muss ich ihm Recht geben. Es sieht grausam aus. Er rammelt mir mit etwas Nachdruck, eine Spritze in den Hintern und eine in den Arm. Die zwickt besonders. "Das ist für die Heilung und dafür, dass Ihnen der Schnitt nicht verfault." "Ich muss noch zu einer Vorstellung fahren." "In dieser Saison brauchen Sie sicher nicht arbeiten. Lassen Sie das! Sie können sich schwere Infektionen holen in der Küche. Das bekommen wir nicht so leicht hin." "Naja. Ich brauch aber Geld, weil ich meine Wohnung bezahlen muss. Als DDR - Migrant möchte ich nicht in Rückstand geraten und schon gar nicht um Aufschub betteln." "Ich gebe Ihnen mal ein paar Tabletten mit. Die helfen etwas. Übertreiben Sie nicht! In drei Tagen ist Verbandswechsel." "Samstag arbeiten Sie auch?" "Mir geht es wie Ihnen. Die Raten drücken." Die Schwester kommt rein. Eine Schnecke. Mit ihr hat er sicher etwas Freude beim Bedienen der Raten. Etwas Freude versüßt das harte Arbeitsleben. Die Schwester hat wieder alle Unterlagen fertig und drückt sie mir in die Hand. Ich verabschiede mich und die Zwei wünschen mir eine gute Fahrt. Ich soll vorsichtig fahren im Paznauntal. Am türkischen Imbiss stehen gerade zehn Kunden und er winkt mir nur kurz zu. Ich winke zurück. Das Auto ist noch warm. Der Verkehr ist jetzt erheblich lebhafter geworden und vor Allem, mit reichlich Touristen gesegnet. Ich zwinge mich, langsam zu fahren. Hinter mir hupen die Touristen, weil ich in den vielen Kreisverkehren, nur bedingt flüssig lenken kann. Einige fahren mir fast Hinten rein. Zum Glück stehen auf einem Parkplatz vor einem Schuhgeschäft, ein paar Gendarmen. Die erlösen mich grade von meinen Verfolgern, in dem sie die rauswinken. Ich bedanke mich mit einem verbundenem Handzeichen bei ihnen. Ich fühle mich jetzt wie ein Tiroler. Vielleicht haben sie auch den dicken Verband gesehen an meiner Hand. An der Abfahrt zum Paznauntal steht Alles. 'Das wird eine Geschichte', denk ich mir. Der Stau war nur ganz kurz; keine fünf Minuten. Und siehe da, es liegen wieder Skiausrüstungen auf der Straße. Zwei SUV-Schrott stehen dabei, die sich beim Mittefahren geküsst haben. Die Gendarmen leiten den Verkehr ganz routiniert um diese zwei Idioten und schon gehe ich den Weg nach Galtür etwas lockerer an. Beim Bäcker in Kappl halte ich kurz an, um mir bei ihm einen Kirmeskuchen zu kaufen. Ich bin der Einzige im Geschäft. Der Thüringer Landsmann hört mich und kommt sofort in den Laden gestürmt. "Wie geht's?" Ich zeige ihm meinen Verband und er drischt sich mit seiner Mehlhand an die Stirn. "Komm'ma zu mir; dann lern ich Dir, mit'm Messer umzugehn. Isses schlimm?" "Ziemlich. Ich kann das ni so genau beurteil'n." "Was will'ste denn? Kirmeskuchen?" "Naja. Wieviel haste denn?" "Ä frisches Blech." "Ä Bäckerblech?" "Joa." "Geb mir es halbe." "Mester, ich kann Feieroamt machen! Dr Sachse koft e halbes Blech Kuchn." Der Meister kommt persönlich und hat frische Semmeln mit. "Wieviel?" "Noja. Mach Zehne." "Die Schenk ich Dir!" "Ich wer verrickt. Die muss'te mir ni schenken!" "Invaliden kriegen Stütze bei mir. Geb mir Dreißig und die Sache ist gegessen. Den Rest schreib ich beim Wolfgang mit drauf; Unfallzuschuß." "Ich hab nur zwe Zwanzscher. Stimmt so. Iss für'n Kaffee." "Eh. Komm'ma wieder!" "Ich muss hoch nach Galtür." "Lass Dich ni bescheißen dort Om. Gute Besserung! Foahr vorsischtisch!" Der Verkehr ist erträglich und Staus gibt es nicht. Bei Wolfgang will ich erst auf dem Rückweg reingehen. Maria steht vor der Tür und sieht mein Auto. Sie winkt. Ich halte kurz an und sage ihr, dass ich auf dem Rückweg vorbei komme. In Ischgl steht die ganze Gendarmerie an der Straße und kontrolliert. Mich winken sie durch. Mir scheint, es ist eine Alkoholkontrolle. Bei den Saufnasen, kann das nur ein Erfolg werden. Auf dem Heimweg werde ich das im Radio erfahren, wie viele Führerscheine eingezogen wurden. Da wird wieder reichlich Platz auf den Straßen. Leider wächst das versoffene Unkraut zu streng nach. In Galtür angekommen, stell ich fest, es ist die gleiche Familie, die das letzte Mal so beschissen hat. Ich verhandle mit der Chefin und trage mein Anliegen vor. Sie bedauert das und entschuldigt sich. Sie will es wieder gut machen. Der Koch hat geschmissen. Sie hat einen Ersatz bestellt und ich soll ihr so lange dienen, bis der eingearbeitet ist. Ich zeige ihr meinen Verband und sie sagt, dass das für sie in der Not, keine Rolle spielt. In dem Betrieb gehen zwischen fünf- und achthundert Essen pro Tag. Ich verlange den dreifachen Chefkochmonatslohn in Tagesabrechnung. Sie ist einverstanden. Sie stellt sich mit Rosi vor und der Mann, der im Büro steht und uns zuhört, ist Andreas. Er fungiert als Hausmann, besser gesagt, als Mann für Alles. Er wirkt etwas schlampig, ist aber ziemlich fit und flott. Wir gehen in die Küche und dort stehen zwei Köche. Beide sehen ziemlich abgearbeitet aus. Ich schaue ihnen etwas bei der Vorbereitung zu und stelle mich vor und die nötigen Fragen zum Tagesablauf. Der Salatkoch stellt sich mit Jürgen und der Zweite, mit Alois vor. Jürgen ist ein recht großer, fester Kollege, der mir etwas hochdeutsch klingt. Ich sage ihm, dass er mit der Voraussetzung schon mal die Annonce mit übernehmen kann. Er sagt, er kommt aus Deutschland und möchte Saisonarbeit lernen. Alois kommt aus der Grazer Gegend. Das ist schon mal ein ganz schöner Weg nach Galtür. Er hätte in der Nähe eine Freundin und deswegen ist er da. Die Gerichte für das Tagesgeschäft sind einfache Imbisse. Abends werden etwas festere Speisen angeboten. Menüs für Hausgäste werden nicht gesondert gekocht, dafür aber ein oder zwei Tagesgerichte. Insgesamt klingt das ziemlich übersichtlich und von den Ansprüchen her, auch gemütlich. Wir verabreden uns für Morgen, acht Uhr. Kaum komme ich zur Chefin, fragt sie, ob wir uns einig geworden sind. Der Ersatzkoch kommt auch morgen, hat sie gerade erfahren. Sie legt mir gleich einen Vertrag hin. Das würde ziemlich streng kontrolliert bei ihnen. Andreas fragt mich, ob wir noch einen Kaffee zusammen trinken. Ich begrüße das Angebot, weil die Wirkung des schon getrunkenen Kaffee's, nachzulassen scheint. Andreas sagt, er ist Deutscher und er hat sich in die Gegend verliebt. Rosi wird leicht rot bei der Aussage. Ich befrage die Beiden nach der aktuellen Lawinensituation und sie antworten mir, dass da im Moment nichts zu befürchten ist. Wir verabreden uns auf acht Uhr, morgen Früh. Jetzt steig ich schnell ins Auto, um noch rechtzeitig meinen lieben Wolfgang und seine Maria zu erreichen. Ich muss unbedingt sehen, wie der Laden läuft. Es ist Mittagszeit und auf den Straßen ist schon erheblicher Betrieb. Der Parkplatz von Ischgl ist rappelvoll. Im Ort staut es gewaltig. Man ist beim Einkaufen. Als Koch könnte ich mir in Ischgl nicht mal eine Tüte Bonbons kaufen. Der Großteil des ausländischen Personals geht meist in Landeck einkaufen. In den Touristenhochburgen gibt es für das Personal wenig Möglichkeiten. Meist werden die Kollegen beauftragt, Etwas mitzubringen. Die beengten Verhältnisse in den Personalzimmern, die Preise für Tanzveranstaltungen, Kaffee oder ein Stück Kuchen, sind unerträglich und wirklich nur mobil zu ertragen. Und genau das erlebe ich jetzt zu Mittag. Neben den Touristen, fährt jetzt das Personal der Gegend zur Zimmerstunde, das Personal, welches frei hat, in die Stadt oder zurück, die Neuanreisen in ihre Hotels, die Eltern ihre Kinder abholen und die Frühstückskräfte nach Hause. Der Weg nach Kappl dauerte entsprechend und ich habe den Gasthof erst nach dem Mittagsgeschäft erreicht. Die Jungs waren bereits auf Zimmerstunde und Wolfgang auch. Maria stand noch an der Rezeption und war wirklich erfreut, mich relativ gesund wieder zu sehen. "Der Verband ist aber ganz schön groß." "Du müsstest mal den Schnitt sehen, der ist genäht worden und sieht nicht wirklich gut aus." "Aber, das Autofahren geht schon wieder." "Ja. Ich muss auch etwas arbeiten, weil unsere Raten bezahlt werden müssen. Wir wollen im Frühjahr fertig sein damit." "Wir werden wahrscheinlich nie fertig mit unseren Raten. Es ist zu viel." "Hat sich schon Etwas ergeben mit der Versicherung und dem Notstandsfond?" "Nichts. Ich drehe fast durch. Die Schreiberei....es ist kaum zu schaffen." "Lass das doch den Hotelverband machen." "Die tun auch nichts. Trinken wir einen Kaffee?" "Ich bezahle. Ist Soltan noch da?" "Die sind Alle kurz mal zu Hause. Nur Muchmat und Ali sind noch da. Zum Glück. Die Zwei schmeißen das halbe Geschäft." Wolfgang hat mich entweder gesehen oder gehört. Er kommt zu uns und wirkt, in meinen Augen, etwas matt und abgearbeitet. "Schau mal in den Keller. Da hängen wieder Zwei." Er hat zwei Gamsen geschossen. In diesem Jahr gibt es zu viele von Denen. Wolfgang erzählt von meinem Ersatz und, dass er sich schon recht gut eingelebt hat. Er braucht keinen Koch. 'Zum Glück', denke ich mir, weil ich schon in Galtür unterschrieben habe. Ich sage das Wolfgang und er macht mich auf meinen Krankenschein aufmerksam. "Ich muss Etwas tun, weil mich auch meine Wohnungsraten drücken", antworte ich ihm. "Und das Krankengeld?", fragt er mich. "Naja; das reicht. Aber nicht für die Bewegungen, die Joana und ich, so noch haben. Die Arbeitswege bezahlt Keiner außer uns und die sind teuer." "Da hast Du schon recht; trotzdem ist das etwas ungewöhnlich." "Im Winter geht am Auto viel kaputt. Ich muss das so machen." Wir gehen noch etwas in die Küche und sich stelle fest, dass Wolfgang auf mich gehört hat. Er hat die Küche genau so umgestellt, wie ich es ihm empfohlen habe. "Geht es so besser?", frage ich ihn. "Du bist der Beste. Deine Ideen passen gut zu uns. Die Kollegen kommen damit auch bestens zurecht." Wolfgang geht in den Keller und bringt mir eine Gamskeule mit. Er weiß, dass ich die zu gern esse. Maria gibt mir ein Küsschen auf die Wange und Wolfgang drückt mich ganz innig beim Abschied. Die Fahrt aus den Paznauntal ging recht flüssig. In Landeck gab es keine Behinderungen und die Stadt wirkte wie ausgestorben. Auf der Landstraße in Richtung Oberes Inntal herrschte etwas mehr Betrieb. Es waren viele Touristen unterwegs; auch in Richtung Reschen. An den Abfahrten in Richtung Serfaus und in die Richtung Schweiz, bogen die meisten Touristen ab. Ich dachte immer, in Nauders und am Reschen wären die meisten Touristen. Offensichtlich ist das heute, anders. In meine Richtung fahren nur zwei Lieferautos. Der erste Weg, im Hotel von Alfred, war der Weg in die Küche mit meiner Gamskeule. Marco schlug die Hände über dem Kopf zusammen. "Das fehlt mir jetzt noch!" "Ich würde die nur bei Dir kurz anbraten und in den freien Holdomat stellen." "Da ist heute überall Platz. Das kannst Du sicher machen." "Danke, mein Gutster." "Brauchst du sonst noch etwas Hilfe?" "Mir ist die Creme schief gegangen. Ich muss die nacharbeiten." "Ich komm dann mal runter und mache Dir die zur Abendausgabe fertig." "Geht das?" "Aber sicher. Hast Du Mascarpone oder Topfen da?" "Ja, ganz frisch. Okay, dann kann ich jetzt auch eine kurze Zimmerstunde nehmen." "Bis dann." Ich brate im Backofen die Keule an und hänge sie in den Holdomat. Joana wird sich freuen. Ich weiß nur nicht, ob wir sie hier oder zu Hause essen. Eigentlich brauche ich ein paar Kochsachen und etwas Werkzeug. So viel ich weiß, haben wir das Alles hier gelassen. Joana weiß das genauer. Sie ist mein Gepäckmanager. Im Zimmer ist Joana noch nicht und ich lege mich kurz hin bis sie kommt. Der Tag war hart genug bis jetzt. Dreißig Minuten später, weckt mich Joana. "Deine Sachen habe ich alle frisch gewaschen und Deine Messer sind im Schrank." Wahrscheinlich hat Joana noch Marco getroffen, der Ihr das gesagt haben muss. Ich frag Joana, ob sie mit in die Küche geht, wenn ich die Creme herstelle. "Gerne", ist die Antwort. Wir haben aber noch eine Stunde Zeit für ein kurzes Schläfchen. Nach der verdienten Ruhe gehen wir in die Küche und ich zeige Joana die Keule von Wolfgang. Die Freude ist groß und wir werden das Teil mit unseren Kollegen verschmausen. Die Creme soll eine Nougatcreme werden. So steht es im Menü. Nougat ist gefährlich und so manche Creme geht damit schief. Vor allem, unter Zeitdruck. Bei Cremes gibt es schnelle Methoden und etwas langsamere, gründlichere und damit auch preiswertere. Normal wird eine Creme im Dämpfer hergestellt. Der Koch stellt dafür eine Milch oder Sahne mit dem entsprechenden Aroma her und bindet das mit Eigelb und Ei. Nach der Bindung wird die Creme in Schalen gefüllt und im Dämpfer, je nach verfügbarer Zeit, zwischen achtzig und einhundertzwanzig Grad, gestockt. Das Ei bindet dann die Creme und die bekommt damit den Schnitt. Die schnelle Methode bedarf einer Schlagsahne nebst den geschmacklichen Zutaten. Es gibt auch Cremes, die mittels Gelatine gebunden werden. Die einzige a la Minute-Methode ist also die mit der Schlagsahne. In dem Fall, muss, wenn mit Gelatine gearbeitet werden soll, die Gelatine erwärmt, verflüssigt, mit den Aromen versetzt werden und mittels geschlagener Sahne, zur Gelatinemischung hin gearbeitet werden. Im Fall von Nougat ist das schwierig, weil verarbeitetes Nougat einen sehr hohen Fettanteil hat, der etwas zum Abgehen neigt mit steif geschlagener Sahne. Eine andere Methode ist die, wie sie bei Schokomousse verwendet wird. Man nimmt sich genug Nougat in Tafelform, erwärmt das und rührt vorsichtig geschlagene Sahne in das Nougat. Nach dem Erkalten, ergibt das eine Art, Pariser Creme. Marco benutzt aber Frühstücksnougat. Und das ist eben etwas flüssiger und fettreicher. Dafür schlage ich in die Schlagsahne etwas Topfen oder Mascarpone ein. Und genau diese steife Sahne, verrühre ich mit dem flüssigeren Nougat. Und siehe, es bleibt steif. Wir verfüllen das schnell in Dessertgläser. Marco streut dann etwas gehackte Nuss darauf, steckt eine Hippe hinein und schon geht das. Marco und das restliche Personal kommen zum Abendessen. Ich nehme die Keule aus de Holdomat und gebe dem Braten in einer Pfanne noch die nötige Kruste. Den Saft kocht Marco noch zu einer Sauce und wir essen dazu Kroketten, die uns Joana zubereitet. Wenn das Wolfgang wüsste, er würde sofort in die Hände klatschen. Alfred hat sich zum Kosten eingefunden und er gibt uns Komplimente. Marco gibt sein Menü heute mit dem Abspüler aus. Das reicht. Es gibt Suppe und Schnitzel. Zur Not ruft er ein Zimmermädchen zu Helfen. Ich gehe mit Joana ins Zimmer. Heute gehen wir zeitig ins Bett.
Geschrieben von BeyerKH
in Fortsetzungserzählung, Zweiter Monat
am
Sonntag, 29. November 2020 10:29
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Tag 32 Zweiter MonatDerSaisonkoch
Zweiter Monat
Romanerzählung
von KhBeyer
Tag Zweiunddreißig
Kurz nach Zwölf wecken wir vom Knallkörpergeräusch in unserer Nachbarschaft auf. Die Gäste von unserer Nachbarin feiern Neujahr und starten ihre Raketen und Knallkörper. Über Meran und in unserem Ort sehen wir ein herrliches Feuerwerk. Nach zehn Minuten hören wir, wie schon die ersten Fahrzeuge ankommen, um Gäste von Doris abzuholen. Die Feier scheint nicht lange zu dauern.
In der DDR gingen Silvesterfeiern bedeutend länger und die Feierlichkeiten waren wesentlich intensiver. Das lag einfach daran, dass in der DDR sämtliche Getränke und Speisen, in der Gastronomie erheblich preiswerter waren und kaum einen Unterschied zu den Ladenpreisen darstellten. Für DDR-Bürger war dem zu Folge, Kultur und Zusammensein, bedeutend erschwinglicher. Zum neuen Jahr erwartete den DDR- Bürger auch kein Entlassungsschein und schon gar keine unerschwingliche Versicherungsrechnung. Aus genau dem Grund, waren unsere Silvesterfeiern ausgelassen und echte Feierlichkeiten. Komischerweise konnten wir uns zum Neuen Jahr auch etwas vornehmen, ohne befürchten zu müssen, dass uns ein äußerer Umstand an der Umsetzung hindert. Genau das aber geschah Neunzehnhundertneunzig. In diesem Jahr wurden alle Wünsche im Juni umgeschrieben und, in neunzig Prozent aller Fälle, durch äußere Umstände im Laufe des Jahres gebrochen. Diese Enttäuschungen wirken noch heute und bei sehr vielen unserer Mitbürger waren die Enttäuschungen und Misshandlungen so grob, dass sie sich das Leben nahmen oder mit falschen Medikamenten, umgebracht wurden. Allein in unserer Familie, waren es fünf Angehörige, die in der DDR noch leben würden. Einer unserer Väter wurde bei einer normalen Zuckerkrankheit auf Westmedikamente umgestellt und wir durften machtlos zusehen, wie er binnen einem halben Jahr, auf dreißig Kilogramm Körpergewicht zusammenfiel. Seine Frau, eine meiner Mütter, verstarb an Einsamkeit, weil wir Kinder uns das Geld woanders verdienen mussten. Ein Onkel, der in der DDR einen sicheren Behindertenarbeitsplatz als Beifahrer hatte, wurde entlassen. Er hatte in der DDR einen Arbeitsunfall. Dessen Arbeitsplatz wurde mit der Auflösung seines Betriebes, abgeschafft. Er lebte mit seiner Mutter, meiner Oma zusammen und sie sollten zusammen, von der gekürzten Rente unserer Oma leben. Beide legten sich vor den Gasherd und starben an Gasvergiftung. Unsere Familie hat damit mehr Opfer zu beklagen als kriegsgeschädigte Familien des Zweiten Weltkrieges, in dem wir als Familie, neben der Umsiedlung, auch ein Mitglied verloren. Zum großen Glück, hatte die DDR – Regierung unserer Familie väterlicherseits ein Gut mit Boden geschenkt, auf dem sich zu DDR - Zeiten gut auskommen ließ.
Zu jedem Neujahr gehen mir diese Gedanken durch den Kopf und meine Joana übt sich in gemeinsamen Mitgefühl. Es gibt also keinen Grund für uns, ein Neujahr unter diesen Bedingungen zu feiern.
Joana fährt unser Auto aus der Garage und lässt es etwas warm laufen, bevor wir starten. Die Luft ist frisch und es weht ein ganz leichtes Lüftchen aus Richtung Reschen. In der Nachbarschaft brennt noch Licht und wir sehen noch ein paar Gäste. Ich muss mich korrigieren. Es gibt sie noch, die Menschen, die lange feiern. Wir fahren schon zu Hause über die Reste der Feuerwerkskörper. Morgen früh werden sich die jungen Leute auf die Suche nach verwertbaren Knallkörpern begeben. Wir haben das als Jugendliche auch getan und aus dem Grund, kritisiere ich das auch nicht. An bestimmten Stellen im Ort, hauptsächlich da, wo Silvester ausgiebig gefeiert wurde, liegen auch vermehrt die Reste der Feier samt Feuerwerkskörpern. Wir können das in etwa mit Fasching und den dazugehörigen Feiern vergleichen. Wenn ich das mit der DDR vergleiche, insbesondere im Verzehr von Getränken, kann ich nur feststellen, dass wir bei uns das Zehnfache vertaten. Darum erklärt es sich auch leicht, warum Westmedien behaupteten, der Sekt oder Wein wäre zur Neige gegangen in der DDR. Tatsächlich sind bei uns diverse, äußerst beliebte Sorten, schnell einmal vergriffen gewesen bei dem Konsum. Es gab aber genug Ausweichmöglichkeiten. Trotzdem war der Kauf der Lieblingssorte, eine Art Wettrennen. Bei uns in der DDR wurde mit Sortimenten gearbeitet. Das A-Sortiment war praktisch das gefragteste. Beim Einkauf wurden wir darüber informiert, dass beim Bezug des A-Sortimentes, eine bestimmte Anzahl der B-Sortimentes mit zu bestellen war. Dieses Sortiment bestand aus importierten Spirituosen und Weinen, die eher nicht den Gewohnheiten unserer Kunden entsprachen. Der Gastwirt musste sich jetzt etwas einfallen lassen, wie er diese Sortimente an den Mann brachte. Im Volksmund sprach sich schnell herum, was ein angeblich wohlschmeckendes Produkt war. Im Westen würde ein solcher Produzent, der keine höhere Produktionskapazität hat, einfach den Preis anheben und schon würde die Nachfrage etwas nachlassen. In der DDR war das nicht möglich. Noch zumal, es auch ziemliche Schwankungen gab beim Lieblingsgeschmack. In einem Jahr, war es der Pfefferminzlikör und im anderen Jahr, der Mokka-Edel oder der Kirschlikör. Drei Jahre später betraf es den Eierlikör und den natürlich aus einem Schokoladenbecher. Wir Gastwirte wussten oft nicht, was eigentlich jetzt Mode war und sprachen darüber mit unseren Kollegen. Fehlinformationen waren an der Tagesordnung. Es gab Gastwirte, die haben dann mit etwas Eigeninitiative, ihre Bestände mit Eigenproduktionen ergänzt. Es wurde probiert und getestet, bis die Eigenkreation dem Original nahe kam oder gleich schmeckte.
Unsere Fahrt führte uns durch einen feiernden Vinschgau, in dem es scheinbar Absprachen mit den Feuerwerken zu geben schien. Ein Feuerwerk war recht pünktlich und andere, je weiter wir in Richtung Reschen kamen, fanden entsprechend verzögert statt. In den größeren Ortschaften fanden die Hauptfeuerwerke zur gleichen Zeit statt, aber die von Einzelpersonen, deutlich versetzt. In manchen Orten hätten wir uns das Licht sparen können. Am schönsten war die Aussicht in Schluderns. Der ganze Ort leuchtete, wie ein Zauberberg. In Mals waren die Bürger oder Gäste noch zahlreich unterwegs. Offensichtlich wollten sie einen Neujahrsspaziergang machen. Ich hatte den Eindruck, als hätte Jemand einen Fackelspaziergang organisiert. Kaum waren wir oben am See, konnten wir noch einzelne Spätzünder auf österreichischer Seite beobachten im Oberen Inntal. Die Leuchteffekte spiegelten sich auf dem Eis. Man hätte denken können, es ist Wasser, so blitzblank ist das Eis.
Im Restaurant von Alfreds Hotel brennt noch Licht. Ein paar Gäste sitzen an der Bar und einige im Restaurant. Im Personalraum sitzen unsere Kollegen und Einige von ihnen sind strotzbesoffen. Mich wundert das kaum. Bei den Arbeitszeiten reichen ein paar Getränke und man befindet sich schon in einer anderen Welt. Alfred begrüßt uns und bietet uns auch gleich ein Getränk an. Joana lehnt ab. Ich bestelle mir ein Bier. „Trink nicht zu viel“, sagt mir Joana; „ich gehe ins Bett.“ Joana gibt mir ein Küsschen und verschwindet. Sie mag wirklich keine Gespräche unter Besoffenen. Marco sitzt noch da und mixt mir einen Schaumwein mit irgendeinem Cremelikör. „Das schmeckt spitze“, sagt er zu mir. Ich nippel etwas an dem Getränk und muss ihm wirklich Recht geben. Es schmeckt nach Kirsche und Sahne. Das Bier schmeckt gut und ist trotzdem nicht vergleichbar mit unserem Gersdorfer Pilsner. Die Sachsen und Tschechen sind wirklich die Einzigen, die ein anständiges Bier brauen können. Schade, dass unsere Brauereien von Westbrauereien besetzt sind. Die Besatzer sagen dazu Partnerschaft. Ich muss herzhaft lachen bei soviel Fehldeutung. Mit der Migration habe ich mir das Biertrinken abgewöhnt. Ich muss westdeutschen Plünderfirmen und Besatzern nicht noch Geld hinterher schmeißen. Es reicht, dass die uns unser Eigentum gestohlen haben.
Marco erzählt mir wieder von seiner Heimat und ich bekomme Lust, unbedingt Mal mit dem Motorrad dahin zu fahren. In Mugello, auf dem halben Weg zum Wohnort Marcos, war ich schon. Auf der anderen Seite Italiens, haben wir es schon bis Brindisi geschafft. Das erzähle ich Marco und er gerät sofort ins Schwärmen. Ich könnte Marco bis zum Morgen zuhören, wenn er von seiner Heimat spricht. Beim Thema Mugello, erzähle ich ihm, dass wir auch unweit einer berühmten Rennstrecke wohnten, dem Sachsenring. Ich erzählte ihm, dass ich bei Giacomo Agostini auf der MV Augusta gesessen habe und mit ihm fotografiert wurde. Als Lehrling habe ich im Fahrerlager für Giacomo mit gekocht. Wir reden noch eine ganze Weile von ihm und Alfred kommt dazu und bekommt spitze Ohren dabei. Alfred sagt, er wäre gern Motorrad gefahren, aber seine Freizeit und seine Eltern, hätten ihm nicht zu viel Liebe dazu aufkommen lassen. Eigentlich ist unser Beruf für solch ein Hobby gut geeignet. Die Saisonpausen geben reichlich Gelegenheit, diesem Hobby zu frönen. In unserem Fall, dem eines Migranten, ist das schon etwas eingeschränkter möglich. Wir müssen uns praktisch ein neues Leben mit einem neuen Standbein aufbauen und das ist wirklich sehr teuer. Marco fängt an, uns etwas zu bewundern. Diese Reaktion gefällt mir so nicht und ich begründe ihm das damit, dass wir im Grunde sehr dankbar dafür sind, dass wir in Italien so gut aufgenommen wurden. Als DDR-Bürger ist man ja so gut wie staatenlos. Wir möchten jedenfalls nicht mit dem Pass unserer Besatzer herumlaufen und den womöglich noch Anderen zeigen.
Einmal haben wir das mit unserem Pass der DDR getan und sind damit verreist. Auf den Flughäfen wird man von den Grenzbeamten der Besatzer noch beleidigt, wie man sich jetzt fühlen würde mit der Reisefreiheit. Kaum sind wir in den Urlaubsorten angekommen, stellen wir fest, dass die Hotelkategorien in westdeutschen Katalogen schon ein einziger Betrug sind. Wohlgemerkt; nicht von den Gastgebern sondern von den Westreiseunternehmen wird man betrogen. Im Grunde ist uns die Kategorie egal und wie wir feststellen durften, ist in kleinen Familienbetrieben, die Qualität, Ordnung und Sauberkeit, Ehrensache. Angestellte können das nicht mit dem Herzen und werden viel zu oft um ihren Lohn betrogen. In Allinklusive Clubs geht man abends, nach dem Essen, natürlich noch an die Bar. Joana trinkt keinen Alkohol. Den trinke ich für sie mit, wenn ich nicht arbeiten muss. Bei den Rundgängen fällt mir auf, dass dort auch eines meiner Lieblingsspiele steht; Billard. Natürlich steht dort nicht das Billard, welches wir von zu Hause aus kennen, Kegelbillard. Aber, immerhin; es ist ein Poolbillard und das spiele ich schon auch gern, wenn ich die Gelegenheit bekomme. Ein Einheimischer lädt mich ein und er möchte mit mir um einen Drink spielen. Das geht gut, weil wir den eh nicht bezahlen müssen. Er weiß das. Ich sage ihm, dass ich es ihm auch bezahlen würde, wenn er gewinnt. Er lehnt das freundlich ab und wir gehen uns die Queue aussuchen. In der feuchten Luft der Karibik braucht es natürlich Kreide, damit das Queue anständig auf den Fingern gleitet. Das Holz der Queues scheint etwas aufgeweicht und schwammig. Das erste Spiel verliere ich entsprechend aber schon ab dem zweiten, ändert sich das. Mein Gastgeber und Gegner lobt mich und lädt mich an die Bar zu seinen Freunden ein. Englisch ist nicht meine Stärke aber wir verstehen und verständigen uns sehr gut. Meine neuen Freunde laden mich ein zu einem Stadtspaziergang am kommenden Tag. Ich sage ihnen, dass ich das mit meiner Frau absprechen möchte und sie freuen sich ganz besonders, auch Joana kennen lernen zu dürfen. Sie fragen mich, woher ich komme aus Deutschland und ich antworte ihnen, dass wir aus der DDR kommen. Darauf hin sagen sie zu mir, wir wären ganz anders als die Deutschen, die sie kennen. An der Bar entsteht langsam Gedränge und wir werden von Deutschen umringt. Die hören unser Gespräch und lallen mich an, wie es ein Ostdeutscher schaffen kann, in die Karibik zu fliegen. „Mit Arbeit“, antworte ich dem Fragesteller, der sich anhört wie ein Schwabe. „Kommen die Ostdeutschen schon in unsere Urlaubsorte“ lallt der zu seinem Kollegen, der auch nicht nüchtern ist. „ Iss wohl ein Parteikommunist, der von den gestohlenen Geld in den Urlaub fährt. Gesindel“, lallt dieser Kollege. „Und auch noch die große Fresse, er würde arbeiten“, lallt der Dritte. Meine neuen karibischen Freunde hören das und ziehen sich scheinbar zurück. Zu den Schwaben gehören auch zwei Frauen, die vor Fettcreme glänzen wie Speckschwarten. Der Ausdruck von ihnen ist so primitiv, dass ich mir dachte, es wären Damen vom leichten Gewerbe. Im Gespräch bekomme ich mit, dass sie Sekretärinnen sind. Ich frage ich, für was. Joana zieht mich am Ärmel und möchte, dass ich mit ihr komme und von dort gehe. Die jungen Einheimischen wollen aber gern mit mir und Joana, Billard spielen. Die jungen Leute sind sicher Angestellte des Hotels. Viele arbeiten auch als Kulturangestellte mit dem Auftrag, sich um die Gäste zu kümmern und die zu unterhalten. Die jungen Leute kommen wieder und haben noch ein paar Kollegen mitgebracht. Einer hat sogar Kreide organisiert und schon kann es los gehen. Die besoffenen Schwaben lassen keine Ruhe und wollen mir an die Wäsche. Ich frage mich, warum und für was? Kaum greift mich so ein besoffener Trottel an, greifen zwei der neu zu uns gekommenen Kollegen der Billardspieler, den Trottel und ziehen ihn bei Seite. Die Anderen der Klique wollen eingreifen und schon werden sie von den jungen Einheimischen gegriffen. Die Nutten wollten auch mitmischen und gingen Joana an die Wäsche. Ein Ordnungsangestellter des Hotels, in einer Art Uniform gekleidet, hatte sich das die Ganze Zeit angesehen und auch per Funkgerät irgendetwas gesprochen. Zwei der uniformierten Hausangestellten kamen hinzu. Einer ging auf den zu, der mich angepöbelt hat, machte zwei kurze Bewegungen und schon lag der besoffene Schwabe auf dem Boden. Die Nutten wurden abgeführt und die anderen Kerle gleich mit. Es wären Bauarbeiter, die jedes Jahr dort den Urlaub verbringen, sagt mir einer von den Billardspielern. Sie würden endlos saufen und fressen wie Tiere und sind bekannt für ihr asoziales Benehmen in der Hotelanlage. Eine Barfrau kam hinzu und sagte zu Joana in sehr gutem Deutsch, dass sie in Deutschland, gelegentlich im Sommer, arbeitet. Sie würde dort behandelt wie Vieh und kennt deren Mentalität. Ihre Vermieter wären aber in Ordnung. Die würden nur eintausend Mark und jetzt Euro nehmen für die Miete. Die Anderen wären erheblich teurer oder würden gar nicht an sie vermieten. Schließlich braucht sie auch etwas Geld für den Heimflug und für die Familie. Sie stellt sich vor. Gabrielle ist ihr Name. Sie wohnt in Sosua und lädt uns ein, am kommenden Morgen den Markt mit ihr zu besuchen. Wir nehmen an. An der Bar mixt sie uns einem Kokosdrink mit Ananas und serviert ihn uns in einer Kokosnuss mit einem Strohhalm. „Schmeckt gut!“, sagt sie uns und lächelt dabei unwiderstehlich. Joana sagt, dass ihr der Drink zu streng sei. Sie mag soviel Alkohol nicht. Gabrielle nimmt darauf hin Ananassaft und verlängert Joanas Getränk. Am kommenden Tag gehen wir mit den Hotelangestellten aus und sie zeigen uns ihren Ort, ihre Wohnungen und Familienangehörigen. Joana weint fast, als sie die Kleinen sieht. Auf dem Markt haben wir uns ein paar sehr schöne Bilder von der Kreolischen Bevölkerung gekauft und kaum um den Preis gehandelt. Hinter uns standen wieder Westdeutsche, die der Meinung waren, wir würden zu Viel für die Bilder bezahlen. Offensichtlich gilt das Lebensprinzip nur für sie. Bei Autokrediten sind sie wahrscheinlich nicht so wählerisch. Die Einheimischen schienen uns zu lieben und auch am Strand haben sie uns vor den aufdringlichen Strandhändlern geschützt, die sich jetzt vermehrt um die fetten, rosafarbenen amerikanischen Touristen kümmern sollten. Die fraßen Popcorn aus Zehnliterkübeln, soffen gemixte Cola aus Fünfliterfässern und waren mit irgendwelchem Schaum eingeschmiert, den wir uns nicht mal auf die Schuhe kleistern würden. Deren zehnjährige Kinder hatten in etwa mein Gewicht und Joana war gegen die, ein Winzling. Joana wollte sich eigentlich nicht in deren Nähe aufhalten, weil sie ständig den Eindruck hatte, dass sie von denen fotografiert oder gefilmt wird. Ich nannte meine Joana schon Filmdiva deswegen. Ich weiß nicht, ob sich die fetten Leute auf diese Art, Onaniervorlagen beschaffen. Die Flüge in und von diesem Urlaub waren vergleichbar mit Gefängnistransporten, so eng saßen wir. Zehn Stunden voller Qualen für ein paar Tage Urlaub in Westkultur. Wir hatten uns vorgenommen, das nie wieder zu tun.
Insgesamt war der Urlaub vor Ort recht nett. Der schlimmste Eindruck für uns war das direkte Kennenlernen der anderen Deutschen samt ihren Kontrollorganen auf den Flugplätzen. Die unglaubliche Überheblichkeit, gepaart mit einer Dummheit, die uns, so - fremd ist. Wir bekamen das auch umgehend gesagt von unseren Gastgebern. Sie meinen, wir DDR - Bürger wären wesentlich zugänglicher und freundlicher als die Westdeutschen. Alfred und Marco bestätigen uns das immer aufs Neue.
Kaum sind wir da, begrüßt uns schon Dursun mit "Gesundes Neues Jahr, Ihr Beiden!" "Gleichfalls; auch Deiner Familie, Dursun." "Danke. Wie war de Feier?" "Beschissen, wie immer." "Haschte ni gefeiert?" "Wir feiern das ni, Dursun." "Ah, okay; alles kloar." Marlies rennt gerade bei ihrem Frühstücksservice. "Guten Morgen", kommt ihr gerade so über die Lippen und schon ist sie weg. Ihr Neujahrsmorgen ist praktisch schon der erste Dauerlauf im Neuen Jahr. An Feiertagen hat sie etwas mehr zu tun, weil sie die Brötchen und Backwaren selbst aufbacken muss. Marco bezieht sie als Gefriersortiment. Die gefrorenen Teiglinge sind etwas angebacken und müssen noch, rund fünfzehn Minuten lang, fertig gebacken werden. Die Methode hat sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt und sie entlastet auch etwas die örtlichen Bäckereien. Marlies kommt zurück und wünscht uns ein Gesundes Neues Jahr, was wir ihr natürlich auch wünschen. Marco ist noch nicht da und wir beschließen, nach einem Schluck Kaffee, ins Zimmer zu gehen. Im Foyer herrscht, bis auf ein paar Frühstücksgäste, Totenstille. Unser Zimmer ist recht warm aber riecht etwas muffig. Joana öffnet kurz das Fenster zum Lüften und geht schon mal ins Bad, sich frisch machen. "Willst Du glei los machen?" "Ja. Nach'm duschen." "Ich schmeiß mich noch ne Stunde hin." "Stell Dir 'n Wecker." Joana ist schon wieder im Arbeitstrance. Die Zimmermädchen haben im Neuen Jahr ganz sicher reichlich zu tun. Und das beschäftigt sie natürlich schon jetzt. Neben der Zimmer- und Badwäsche mit den entsprechenden Spuren, ist auch die Tisch- und Küchenwäsche fällig. Vom Haus und den Toiletten möchte ich nicht schweigen. Das wird praktisch die erste Kotzübung des Neuen Jahres. Das überstehen nur die Härtesten ohne Appetitsverlust. Bei den Zimmermädchen können wir heute sicher Personalessen sparen. Vom Nachtbuffet ist noch eine Menge übrig. Ich hab es im Kühlhaus gesehen. Kurz vor Acht, klingelt unser Wecker. Joana hat mich nicht geweckt und es riecht auch nicht nach Kaffee. Unser Zimmer ist jetzt etwas frisch, um nicht kalt zu sagen. Dafür ist der muffige Geruch weg. Im Bad riecht es nach Joanas Parfüm. Meinen Kaffee werde ich hier im Bad trinken. Hier ist es schön warm. Im Personalraum sitzen alle Kollegen. Wir wünschen uns ein Gesundes Neues Jahr. Einige küssen sich untereinander. Marco sieht etwas verbraucht aus heute. "Wie lange hast Du gestern gefeiert?", frage ich ihn. "Du meinst, heute!" "Wann bist Du ins Bett?" "Gerade eben. Kurz, bevor Du gekommen bist." "Wer war die Glückliche?" "Schau Dich um. Das siehst Du sicher." 'Naja', denk ich mir. `Die sehen alle recht zufrieden aus.` "Meinst Du Alle?" Marco kann sich kaum halten vor Lachen. "Schön wär's." Wenn ich so genau hin schaue, sieht Mira etwas glücklicher aus als ihre Kolleginnen. Ich frage Marco nicht. Das ist seine Sache. Marco kann bei den Kolleginnen nichts falsch machen. Sie sind alle schön und wunderschön. So wunderschön, wie meine Joana. Viele Zimmermädchen neigen wegen ihrer Arbeit etwas zur Hyperaktivität, die sich im freizeitlichen Zusammenleben schwer bremsen lässt. Marco dürfte damit gut zurecht kommen. Als Koch muss Unsereiner schon auch ein Spur Hyperaktivität besitzen. "Was hattest Du Gestern als Galamenü, Marco?" Marco gibt mir das Menü und ich lese es erst später, auf dem Zimmer. "Und was gibt es Heute?" Marco hat ein einfaches Menü geschrieben, weil er glaubt, dass sich die Gäste schon am Vortag überfressen haben. Es gibt Fisch und keine Wahlmöglichkeit. Die Fischer aus dem Nachbarort haben ihm Zander angeboten, den er auch genommen hat. Riesenexemplare. Von den Riesenexemplaren wurden nur drei gefangen. Dafür haben ihm die Fischer als Beifang, drei sehr schöne große Hechte mitgebracht. Nichts liegt näher, als daraus ein Duett zu servieren. Marco kocht das ganz klassisch in einer Dillsauce, die er als Grüne Sauce zu brauner Butter servieren lässt. Der Einfall ist gut. Davor gibt es heute nur eine Nudelsuppe. Als Dessert schreibt Marco, Eis. Das wird also heute in recht gemütliches Menü. Ich helfe Marco lediglich bei der Fischzerlegung und beim Kartoffelschälen. Zum Personalessen brauchen wir eigentlich nichts kochen, weil vom Vortag genug im Kühlhaus steht. Ich richte das auf zwei Gastronorm und gebe die in den Dämpfer. Es gibt Lachs, feines Rindsfilet, Roastbeef, Hühnchenbrust und auch Pfifferlinge. Ein Personalfeiertag vom Feinsten. Unsere Zimmermädchen haben keinen Appetit, wie befürchtet. Wir versuchen, sie mit etwas Süßem zu locken. Das funktioniert teilweise. Unsere hausgebackenen Lebkuchen und Dominosteine finden reißenden Absatz bei den Kollegen. Ich schätze, Marco hat die bewusst etwas zurück gehalten. Etwas Eigenversorgung kann nicht schaden. Joana sagt mir gerade, dass sie zu müde ist, um nach Hause zufahren. Wir bleiben also bei Alfred im Hotel. Es kündigt sich eine Nachfeier an. Sozusagen, das Restesaufen. Irgendwie muss ich mir jetzt Ausreden einfallen lassen. Mir missfällt der Anlass als auch die Umgebung. Ich kann mich bestenfalls in Trauermomenten besaufen, aber nicht wegen eines Jahreswechsels oder sonstigen Anlässen. Alkohol macht mich trübselig. Nach dem Personalessen bin ich fertig bei meinem Freund Marco. Ich kann zu Bett gehen. In unserem Zimmer schaue ich schnell noch nach neuen Arbeitsstellen. In meinem Briefkasten sind zwei Antworten auf Bewerbungen. Eine ist für die aktuelle Wintersaison. Sie kommt aus Galtür. `Mein Gott, schon wieder das Paznauntal`, denke ich mir. Ich denke an die unendlichen Staus zu Ferienzeiten und an Wochenenden. Naja, es wäre immerhin die Möglichkeit, mal wieder bei Wolfgang vorbei zu schauen und zu fragen, ob er einen Koch benötigt. Ich bin zwar erheblich eingeschränkt bei meiner Arbeit; aber es geht. Morgen steht immerhin ein Verbandswechsel an und da könnte ich schon mal mit im Paznauntal vorbei schauen. Den Schnitt merke ich kaum noch. Was ein-zwei Tage ausmachen, ist schon erstaunlich. Kommende Woche müssen die Fäden gezogen werden, denke ich. Das erfahre ich sicher erst beim Verbandswechsel. Joana kommt bei mir im Zimmer vorbei und sagt mir, dass sie heute recht früh fertig sind. Die Tischwäsche werden sie erst morgen waschen. Es gab zu viel Bett- und Badwäsche. Allein die zu mangeln, erfordert zu viel Zeit. Ich lege ich derweil etwas schlafen. Ich bin müde. Gegen sechzehn Uhr, weckt mich Joana als sie sich neben mir ins Bett legt. Sie ist groggy. "Hast Du noch etwas Hunger? Ich hol uns Etwas." "Nein. Ich bin satt." "Gute Nacht" "Nacht, mei Schatzi."
Geschrieben von BeyerKH
in Fortsetzungserzählung, Zweiter Monat
am
Donnerstag, 26. November 2020 00:49
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