Dauerhafte EinträgeFünfter Tag
Fünfter Tag
Wir stehen früh auf, um alle Bewerbungsgespräche zu schaffen. Zu bestimmtenZeiten steht man bei uns im Vinschgau nur im Stau. Termine kann ich da keine einhalten. Vermischt sich der Werksverkehr mit dem Transitverkehr der Autobahnumfahrer und Mautsparer, sieht es schlecht aus. Dabei müßte die Maut für unsere Vinschger Straße schon mal höher sein als die Autobahnmaut. Natürlich nur für Fremde und den fremden Schwerlastverkehr. Wir bezahlen die kaputten, verstopften Straßen mit unseren Steuern und teilweise mit unserem Leben. Die beste Zeit aufzubrechen, ist vor sieben Uhr. Unser erster Termin ist im Vinschgau. Ich habe den extra zeitig vorgeschlagen. Für die Sommersaison brauche nur ich eine Arbeitsstelle. Joana hat schon eine. Aus dem Grund, würde ich gern in Südtirol arbeiten. Ich hätte dann nicht zu weit nach Hause. Wir müssen an Schlanders vorbei. Unser erster Kontakt hat es schon mal in sich. Das herzlich gemeinte „Guten Morgen“ von mir, wird schon mal mit einem stummen Lächeln beantwortet. „Aaah. Ein Sachse, DDR, he?“, bekomme ich zur Antwort. „Können sie kochen?“, ist schon die zweite Feststellung. „Ich bin gelernter Koch und deshalb haben sie mich offensichtlich zur Vorstellung eingeladen“, muß ich belehrend zugeben. Daß ich Meisterkoch bin, habe ich in dem Zusammenhang verschwiegen. Auch in meinen Bewerbungen. Im Grunde reicht es, die meisterlichen Kenntnisse bei der Organisation seiner Arbeit anzuwenden. Das muß man dem Arbeitgeber nicht noch sagen. Die werden eher neidig. In die Arbeitsverhältnisse, die wirklich einen Meister benötigen, kommt ein Vakabuntensaisonarbeiter eh nie. Das ist eher Einheimischen vorbehalten. Nach einem Kaffee oder einem Getränk hat mich erst mal keiner gefragt. Vielleicht kommt das noch? Mal sehen. „Wir haben reichlich a la carte und auch Hausgäste“. „ Wieviel?“, frage ich. „An Wochenenden viele“, ist die Antwort. ‚Das soll dann mal die Grundlage für das Arbeitsverhältnis bilden‘, denk ich mir. „Kann ich mal die Karte sehen und, wenn es nichts ausmacht, vielleicht ein, zwei Menüs meines Vorgängers? Ich möchte mal sehen, auf welchem Niveau das bei ihnen läuft.“ Die Speisenkarte liegt schon bereit und ist mit den landestypischen Speisen gefüllt. Die Hotelgäste bekamen vier Gänge zum Menü. Es war ein Menü, ohne Wahlmenüs. „Sie haben ein Menü im Angebot?“. „Das hat bis jetzt immer gereicht“, ist die Antwort. Das wäre ja schon mal ein recht gemütlicher Arbeitsplatz. Ich komme leicht ins Träumen. Mit dem Motorrad hätte ich den Arbeitsweg im Sommer, leicht in zwanzig-dreißig Minuten zurückgelegt. Auf die Frage, ob ich mal die Werkstatt sehen könnte, kam eine etwas zögerliche Reaktion. „Zur Küche geht es hier lang.“ Die Tür geht auf und in der Küche stehen zwei Frauen. Eine ältere und eine junge. In der Küche war es recht dunkel. Sie war mit hellbraunen Fließen belegt. „Guten Morgen“, riefen mir die zwei Köchinnen entgegen. „Guten Morgen“, geb ich zur Antwort. „Wollen sie etwas trinken?“, fragt mich die ältere Frau. Schätzungsweise, die Chefin. „Danke, ein Kaffee wäre nicht schlecht“, sag ich darauf. Die junge Kollegin fragt: „Macchiato?““Es kann auch ein Frühstückskaffee sein“, antworte ich. „Das ist meine Tochter“, sagt die ältere Frau, zu mir. Sie stellt sich als Chefin vor. Nun frag ich noch einmal, wie viele Gäste so zu erwarten sind. Die Angaben sind jetzt etwas genauer. Zu den Hausgästen, zwischen zehn und dreißig, kommen in der Saison noch zwischen dreißig und einhundert a la carte. Meist Radfahrer und Wanderer. Mittags kommen dazu Bauarbeiter und Arbeiter von den Apfelplantagen. Nun schau ich die Runde, sehe einen Umluftbackofen, vier Gasflammen mit einem Wassertopf drauf und eine Bagno Maria. Die Bagno Maria ist das Wasserbad. Dazu sehe ich eine Friteuse. Der Umluftbackofen ist kein Dämfer. Das scheint mit etwas wenig. Ich sag das den Frauen und bemerke zu dem, daß sie damit, mittags, geschwommen haben. In der Antwortgeste bemerke ich eine Bestätigung. Ich sage den Frauen, daß sie, wenn nur ein Tisch mit vier Plätzen, Essen bestellt, schon in gewaltige Schwierigkeiten kommen. Die Gäste müssen nur vier verschiedene Speisen bestellen. Heutzutage versucht der Koch schon, daß ein Tisch, zusammen, die Speisen bekommt. Hier wäre das nicht möglich. Die Frauen fragen mich jetzt, was man benötigt, um das zu korrigieren. Ich empfahl ihnen eine mobile Bratplatte, eine mobile Bagno Maria und eine mobile Induktionsplatte. Die Behälter für das Wasserbad hatten sie schon. Sie fragten mich, was das in etwa kostet. Ich sage ihnen, daß das die preiswerteste Variante ist. Sie kämen dabei mit rund fünfhundert Euro weg. Bei den Küchenmaschinen bemerkte ich, daß sie keinen Blixer im Betrieb haben und auch keinen Blender. Ein Mixstab in Haushaltqualität war schon da. Mit einem gewerblichen Blixer spart man sich den Blender. Der kostet dann schon ab fünfhundert Euro bis eintausendfünfhundert. In Haushaltqualität würden sie so ein Gerät schon ab siebzig Euro bekommen. Ich bemerke erleichterte Gesten. Bei ihrer Größe, würde ich ein Profigerät bevorzugen, gab ich zum Besten. Sie fragten mich, warum ich noch eine mobile Bagno Maria benötige. Ich sagte ihnen, daß man damit, über Nacht, Schmorgerichte herstellt. Die große Bagno Maria oder der Umluftbackofen wären dafür nicht geeignet. Aus Kostengründen. Der Chef kommt in die Küche und nickt etwas zur Chefin. Die Chefin verließ kurz Küche, kam zurück und sagte, daß schon der nächste Bewerber vor der Tür steht. „Den Rest sprech‚ mer per Telefon ab“, sagt sie zu mir. Das war‘s. Ich geh hinaus zum Auto und kaum ist die Tür geöffnet, fragt mich Joana: „Und?“ Was soll ich jetzt antworten? „Wir fahren weiter“, sag ich ihr. Der kommende Termin ist am Reschen. In Österreich. Auf der Malser Heide gab es wieder kleine Schneeverwehungen. Zwei Lastwagen standen quer. Ich frag mich langsam, was Lastwagenfahrer aus Portugal und Bulgarien auf dem Reschen suchen. Wo haben die ihre Schneeketten? Im Koffer? Ich sehe eine Lücke, die mir paßt und überhole die restlichen Autos, die in der Schlange stehen. Ein paar Deutsche hupen wie verrückt. Ich zeig den Trotteln nur den Vogel. Es ist alles frei, die Trottel stehen da mit vollgekleckerten Hosen und hupen. Ich bin auf hundertachtzig. Nachdem sie sehen, daß ich an den Lastwagen vorbei ziehe, setzen sie ihre Droschken auch in Bewegung. Die Lastwagen haben die Wehen ziemlich platt gewalzt. Es sind nur ein paar Schneehaufen da. Etwas Schwung und schon geht die Fahrt weiter. Wir kommen an in Nauders. Unser Ziel ist erreicht. Das Hotel ist geöffnet und die Chefin hat uns schon erwartet. Sie steht in der Rezeption und wird gerade von holländischen Touristen belagert. Sie gibt mir ein Zeichen, daß ich mich etwas gedulden soll. Mit einem Zeichen schickt sie eine Kellnerin zu mir. Die ungarische Kellnerin fragt mich, was ich trinken möchte. Ich bestelle bei ihr einen Verlängerten. Nach der kurzen Wartezeit kommt die Chefin zu mir. Sie hat ihre Speisenkarte schon in der Hand. Sie sagt mir, daß Nauders eine recht kurze Sommersaison hat. Das war mir schon klar. Aber die kurze Saison paßt eben gut zur langen Wintersaison. Sie sagt mir, daß sie in der Familie mehrere Hotels haben und in einer Küche für alle Hotels kochen wollen. ‚Im Grunde wollen sie die Chefköche der anderen Hotels sparen‘, denk ich mir. Ich sage ihr, daß das grundsätzlich möglich ist und das ich das, ganz speziell, auch gelernt habe. Dazu muß ich aber, wie üblich, die Küche sehen. Die Küche muß die Dimensionen auch verkraften. Wir reden immerhin von der Verdreifachung der Kapazität bei noch zu beliefernden zwei Hotels. Nach dem Blick in die betagte Küche, geb ich der Chefin zu verstehen, daß die Kapazität der Küche, dafür, in dem Zustand, nicht ausreicht. Wie wären denn die Investitionen, wollte sie nun wissen. Im Grunde nicht zu hoch, sag ich ihr. Da sie bereits einen recht großen Dämpfer, ausreichend Kühlfläche, genug Brat- und Kochfläche hat, würde sich das auf die Behälter und diverse Kleintechnik beschränken. Sie ist recht zufrieden mit der Auskunft und verspricht mir, sich zu melden. Damit waren wir schon mal recht zügig fertig mit dem Vorstellungsgespräch. Der nächste Termin ist in Samnaun. Im Winter dahin zu fahren, ist ein ganz spezieller Ausflug. Ketten haben wir mit, wie üblich. Ich lege die Ketten schon unten auf. Sicherheitshalber. Wenn die Straße schneefrei ist, kann ich sie immer noch abnehmen. Schon an den ersten Serpentinen bestätigt sich meine Vermutung. An jeder Steigung steht ein Deutscher oder Italiener im Weg und montieren ihre Ketten. Flachländer. Da stehen gut ausgerüstete Fahrer hinter Idioten und warten, bis diese Trolle eine Kette aufgelegt haben. Der recht teure Skipaß gilt für den gesamten Tag. Auch für die Zeit, die ich hinter so einem Idioten stehe. Die chronisch unterfinanzierten Verkehrspolizisten könnten sich dort eine goldene Nase verdienen. Die Tourismusgemeinden geben viel Geld aus, um extra Kettenanlegeplätze anzulegen und zu beleuchten. An der Grenzkontrolle stehen ein paar Posten, die uns durchwinken. Im Ort angekommen, leuchtet als Erstes, eine unendliche Warteschlange vor der Tankstelle. Was dreißig Cent Preisunterschied ausmachen. Unglaublich. Dafür riskieren viele sogar Unfälle. Wir könnten das jetzt rechnen. Fünfzehn Euro Einsparung bei fünfzig Litern. Für den nahen Grenzbereich und Leute, die wöchentlich tanken müssen, ist das schon mal eine gewaltige Summe. Wir haben das Hotel gefunden. Von Außen scheint es, als wäre Keiner da. Ab Mittag liegt der Ort im Schatten wie viele Skihochburgen. Die Gäste sind sicher noch auf den Pisten. Joana setzt mich ab. Sie will sich bei der Gelegenheit etwas Parfüm kaufen. An der Rezeption erwartet mich eine ostdeutsche Kollegin. Sie kommt aus Leipzig und arbeitet jede Wintersaison hier. Vom Sozialismus mit Vollbeschäftigung zu Hause, zum Tagelöhner in Europa. Das ist ein Werdegang. „Was machst Du im Sommer?“,frag ich sie. „Im Sommer arbeitet ich in den österreichischen Hotels“, ist ihre Antwort. Der Chef unterbricht unsere Unterhaltung und führt mich gleich in die Küche. Von modern kann keine Rede sein. Er sagt sagt mir, daß das Küchenteam für Hausgäste und für laufende Kundschaft kocht. Ich frag ihn, ob es Halbpension gibt. Schon. Aus dem a la carte - Angebot und dem Tagesmenü. ‚Klingt gemütlich‘, denk ich mir. „Ihr seid sechs Köche“, sagt mir der Chef und „ihr habt Fünf-Tage-Woche, Acht-Stunden-Arbeitstag“. Er zahlt dafür dreitausendsechshundert Franken. Er hat keine Personalunterkünfte, kann mir aber recht preiswerte Zimmervermieter empfehlen. ‚Das klingt gut‘, geht mir durch den Kopf. In Pfunds kenne ich Vermieter. Exkollegen. Von dort aus fährt auch ein günstiger Pendelverkehr nach Samnaun. Bei den Spritpreisen in Samnaun, rechnet sich auch das tägliche Pendeln nach Meran. Jetzt habe ich die Möglichkeit, den Kollegen zu zuschauen. „Wir arbeiten hier mit sehr teuren Rohstoffen“, sagt mir der Chef des Hauses. „Ich habe schon drei Mal in der Schweiz gedient“, antworte ich ihm. ‚Komisch‘, denk ich mir, ‚lesen die meine Referenzen nicht durch?‘. „Wir arbeiten auch mit echtem Kaviar“, ergänzt der Chef. „Ich habe drei Jahre in der Sowjetunion gearbeitet und dabei, kiloweise, echten Kaviar verarbeitet. Ich kann damit, ganz sicher, umgehen“. Ein Kochkollege kommt mit einer Dose „Iskra“ aus dem Kühlhaus und öffnet sie gerade. Der Chef zeigt auf die Dose. „Das ist Lachsrogen“, sag ich zu ihm. „Kein Kaviar“. Die Bemerkung brachte den innerlichen Abbruch des Vorstellungsgespräches seitens der Chefität. Ich spürte das. Schade. Fünf-Tage-Woche bei dem Gehalt. Offensichtlich sind keine Fachleute mehr gefragt. Aufschneider reichen völlig aus. Mit dem rechten Auge bemerke ich gerade noch, wie ein jugoslawischer Kollege auf der Bratplatte ein Schnitzel versaut. Kein billiges Schnitzel, ein Kalbsschnitzel. Der Saft und das Einweiß von dem Fleisch verläßt gerade das Schnitzel nach oben. Ich wollte schon „Wenden“ rufen, zu spät. Nach dem Wenden, klebt dann der Geschmack als Kohle auf der Bratplatte. Sechsundzwanzig Franken für so ein Schnitzel. Gute Nacht. „Bist Du der Chefkoch hier?“, frag ich ihn. „Hier kein Chef“, antwortet er. Der Chef des Hauses zahlt allen Köchen den gleichen Lohn, erfahre ich nebenbei. Es gibt keinen Chefkoch bei ihm. Das klingt ja fast sozialistisch. Ich verabschiede mich von den Kollegen. Es war kein Schweizer dabei. Trotz Blamage, haben wir mit dem preiswerte Tanken und den Parfümeinkauf für Joana, etwas Gewinn gemacht. Sie hat den Kollegen in Österreich gleich noch ein paar Zigaretten mitgenommen. Meine Frau denkt einfach an Alles. Wir haben im Auto noch über den „Kaviar“ gelacht, als ich meiner Frau davon berichtete. Sie sagt zu mir, daß die Westdeutschen, selbst den Seehasenrogen, großmäulig, als Kaviar bezeichnen. Diesen schwarzen Fischsand verkleckern wir zum Sektfrühstück und beim Empfang der neuen Gäste auf den Eiern und Räucherlachsscheiben zur Garnitur. Wegen der schwarzen Farbe, die einen guten Kontrast gibt. Joana wurde von einer Kundin angesprochen. Es gäbe sogar „Kavia“ bei ihnen im Hotel. Langsam entwickelt sich etwas Hunger und, nachdem ich kein Getränk in Samnaun bekam, etwas Durst. Kaffeedurst. Der kommende Termin ist im Kaunertal. Wir fahren aber vorher noch einen kleinen Imbiß in der Tankstelle nehmen. Etwas unterhalb von Prutz ist eine Tankstelle mit einem feinen Imbiß. Das ist unsere Anlaufstelle. Tanken müssen wir nicht mehr. Auf dem Weg durch Prutz bemerken wir ein Schild auf der Abbiegung ins Kaunertal. „Kaunertal gesperrt“. „Den Weg können wir uns sparen“, sag ich meiner Frau. „Fahr mer nach Hause“, antwortet sie mir. Wir drehen gleich um und sparen uns auch den Imbiß. Den holen wir dann oben am Reschen nach. Ich sage meiner Frau, daß wir da eigentlich Glück gehabt haben. Stell ich mir vor, daß wir im Tal drinnen sind und dort von einer Lawine überrascht werden, wird mir schon etwas mulmig. Da kann man schon mal eine Woche hängen bleiben. Daß in das Tal noch kein Tunnel führt oder zumindest, eine wirkungsvolle Galerie, bleibt mir schon ein Rätsel. Zumal, in den Gletschergebieten, diverse Skinationalmannschaften trainieren. In den Sommermonaten lebt diese Region zudem von Zweirad- und Bustouristen. Und das bei der Steinschlaggefahr. Für den heutigen Tag, sind wir dann schon mal ganz schön herum gekommen. „Gehen wir zum Imbiß oder zu Hause, Pizza essen“,frag ich Joana. Joana will schnell nach Hause. Damit ist die Pizza schon mal geklärt. Wir freuen uns über die schönen freien, trockenen Straßen in Südtirol bei, vergleichsweise, Frühlingstemperaturen. Was die paar Kilometer ausmachen, wird einem schon bei der Überquerung des Reschen bewußt. Fortsetzung folgt
Geschrieben von BeyerKH
in Fortsetzungserzählung, Tag 005
am
Dienstag, 21. Februar 2017 14:54
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